In Ihrer persönlichen Veränderung – etwa im Rahmen einer Psychotherapie – tauchen immer wieder Bedürfnisse auf: Wünsche nach Ruhe, Nähe, Klarheit oder Veränderung. Manchmal sind diese Bedürfnisse spürbar, manchmal scheinen sie diffus oder wiederholen sich in ähnlichen Mustern. In der gestalttherapeutischen Arbeit wird unterschieden zwischen echten Bedürfnissen, die im Hier und Jetzt erfahrbar sind, und Ersatzbedürfnissen, die eher strategisch, abstrakt oder generalisiert Ihr Erleben prägen. In diesem Blogbeitrag möchte ich Sie als Klient*in begleiten und Ihnen helfen, diese Unterscheidung zu verstehen, damit Sie Klarheit gewinnen, was wirklich Ihr Jetzt-Bedürfnis ist, und wie Sie Schritt für Schritt damit in Kontakt gehen können.
Warum überhaupt der Blick auf Bedürfnisse?
Wenn wir uns in einer schwierigen Lebensphase befinden – Stress, Überlastung, Beziehungskonflikte, innere Unruhe oder eine depressive Stimmung – dann fühlt sich das oft so an, als fehle etwas. Wir spüren ein „Ich müsste …“, „Ich sollte …“, „Wenn ich …, dann …“. Doch tief im Inneren steckt häufig ein anderes, direkteres Bedürfnis: zum Beispiel nach Halt, Unterbrechung, Klarheit oder Verbindung.
In der gestalttherapeutischen Perspektive steht das Hier und Jetzt im Zentrum: „Was geschieht hier?“ – „Was brauche ich gerade?“ – „Wie zeigt sich mein Erleben im Körper?“ Wenn wir uns dieser Perspektive öffnen, gewinnen wir Zugang zu echten Bedürfnissen – und gleichzeitig erkennen wir Ersatzbedürfnisse, die uns eher blockieren als helfen.
Warum das relevant ist? Weil echte Bedürfnisse Kontakt erzeugen – mit uns selbst, mit anderen, mit dem Leben und damit auch eine Chance zur Regulation eröffnen. Ersatzbedürfnisse hingegen halten uns häufig in Mustern gefangen, in Müssen, Perfektion, Anpassung und verhindern echten Kontakt.
Was sind echte Bedürfnisse?
Echte Bedürfnisse – im Sinne der gestalttherapeutischen Arbeit – sind Bedürfnisse, die im Moment erfahrbar sind, die sich im Hier und Jetzt zeigen, und die eine direkte Verbindung zu Ihrem lebendigen Erleben haben.
Merkmale echter Bedürfnisse:
- Sie entstehen jetzt, in der gegenwärtigen Situation.
- Sie sind spürbar im Körper: etwa als Unruhe, Spannung, Leere, Enge, Wärme, Atemhemmung, Wunsch nach Bewegung oder Ruhe.
- Sie haben eine direkte Relevanz: „Ich brauche gerade Unterstützung“ oder „Ich möchte mich zurückziehen und zur Ruhe kommen“.
- Ihre Erfüllung führt zu Entlastung, Klarheit, einem Gefühl von Wahlmöglichkeit oder Einlassen.
- Sie fördern echten Kontakt – zu sich selbst oder zur Umwelt – statt Kontakt zu unterbrechen oder sich zu entziehen.
Beispiel:
Sie kommen nach Hause und merken: Ihr Herz schlägt schneller, Sie fühlen sich angespannt, Ihr Atem ist flach, und Sie denken: „Ich müsste noch produktiv sein“. Wenn Sie in diesem Moment hinschauen und fragen: „Was brauche ich jetzt?“, könnte die Antwort lauten: „Ich brauche eine halbe Stunde Ruhe, nichts leisten zu müssen, einfach zu atmen und anzukommen.“ Das ist ein echtes Bedürfnis: Es ist in der Situation vorhanden, spürbar, und es lädt Kontakt mit sich selbst ein.
Bedeutung in der Psychotherapie
Wenn in Ihrer Klientensituation echte Bedürfnisse erkennbar werden, kann der therapeutische Raum dazu dienen, diese zu entdecken, zu benennen, zu fühlen und Wege zu finden, wie Sie ihnen gerecht werden können. Für eine Praxis-Psychotherapie in Rosenheim oder online ist das ein zentraler Schlüssel: Sie lernen, auf Ihre echten Bedürfnisse zu achten und entsprechend zu handeln.
Was sind Ersatzbedürfnisse?
Ersatzbedürfnisse sind Bedürfnisse, die nicht direkt aus dem aktuellen lebendigen Erleben kommen, sondern oft aus früheren Zeitpunkten, aus Überzeugungen, Mustern oder Strategien. Sie dienen dazu, ein echtes Bedürfnis zu kompensieren oder zu umgehen.
Merkmale von Ersatzbedürfnissen:
Formuliert oft in Zukunft oder im „Soll“: „Ich muss erfolgreich sein“, „Ich sollte beliebt sein“, „Ich muss funktionieren“.
Nicht primär spürbar im Körper oder in der Gegenwart, sondern eher gedanklich, abstrakt.
Sie greifen alte Muster z. B. Anpassung, Überleistung, Perfektion, Flucht vor Nähe –, die einst sinnvoll waren, heute aber blockieren.
Ihre Erfüllung bringt kurzfristige Befriedigung oder Sicherheit, langfristig bleibt das zugrundeliegende echte Bedürfnis unerfüllt – und oft entsteht Frustration, Erschöpfung oder Gefühl der Leere.
Beispiel:
Sie haben die Überzeugung: „Ich muss perfekt sein, damit ich geliebt werde.“ Daraus entsteht das Ersatzbedürfnis: „Ich brauche Perfektion.“ In der aktuellen Situation könnte das so aussehen: Sie arbeiten spät, lassen kaum Pausen, in der Hoffnung, Anerkennung zu erlangen. Körperlich spüren Sie wenig „Ich brauche Ruhe“, sondern eher „Ich muss weiter“. Auch wenn Sie Anerkennung bekommen – das echte Bedürfnis (z. B. nach Zugehörigkeit, nach Wertschätzung, nach Nähe) bleibt oft unerkannt.
Bedeutung in der Therapie
Ersatzbedürfnisse sind häufig hinderlich: Sie verhindern den direkten Zugang zum echten Bedürfnis, blockieren Kontakt und führen in Schleifen von Wiederholung, Stress oder Erschöpfung. In der gestalttherapeutischen Praxis gilt es, diese zu identifizieren, zu benennen und im sicheren Raum aus der Überlebensstrategie herauszuführen, damit echtes Bedürfnis wieder hör- und fühlbar wird.
Warum ist diese Unterscheidung wichtig für Sie?
Für Ihr persönliches Erleben
Wenn Sie verstehen, ob Sie gerade einem echten Bedürfnis folgen oder einem Ersatzbedürfnis verpflichtet sind, gewinnen Sie Klarheit und Wahlmöglichkeit. Sie erkennen: „Bin ich in Kontakt mit meinem lebendigen Erleben – oder reagiere ich nur mit einer Strategie?“ Das gibt Ihnen die Chance, bewusster zu handeln – nicht länger Getriebene*r eines inneren „Ich muss“, sondern jemand, der spürt: „Ich brauche …“ und wählen kann.
Für Ihre Beziehung zur Außenwelt
Echte Bedürfnisse fördern Verbindung: zu anderen Menschen, zur Arbeit, zur Natur. Ersatzbedürfnisse hingegen erzeugen Distanz, weil sie darauf abzielen, etwas zu leisten, etwas zu vermeiden, etwas zu erreichen – nicht im Kontakt zu sein. Wenn Sie lernen, echte Bedürfnisse wahrzunehmen und zu leben, können Ihre Beziehungen lebendiger, authentischer und erfüllender werden.
Für den therapeutischen Prozess
In Ihrer Sitzungsarbeit kann die Unterscheidung helfen: Sie und Ihr Therapeut*in können gemeinsam explorieren: „Was ist hier jetzt?“ „Was spüre ich?“ „Wo fühle ich mich blockiert?“ „Welche Stimme spricht? Die eines echten Bedürfnisses oder die einer alten Strategie?“ So entsteht therapeutischer Fortschritt nicht nur durch Einsicht, sondern durch lebendiges Erleben und Kontakt.
Wie erkennen Sie jetzt Ihr echtes Bedürfnis und wie gehen Sie damit um?
Innehalten und wahrnehmen
Erlauben Sie sich einen Moment der Atempause. Fragen Sie sich: „Was ist genau jetzt?“ Legen Sie Ihre Hand auf den Bauch oder die Brust, spüren Sie Ihre Atmung, Ihre Körperempfindung. „Gibt es etwas, das aus dem Inneren drängt? Welches Gefühl zeigt sich?“ Diese Körper- und Momentwahrnehmung ist zentral (siehe auch Gestalttherapie-Prinzipien: Fokus auf Hier und Jetzt & Bewusstheit).
Unterschied benennen – echtes oder Ersatz-Bedürfnis?
Stellen Sie sich Fragen wie:
- Ist das, was ich gerade „brauche“, wirklich spürbar oder ist es ein „Ich müsste …“?
- Wenn ich genauer hinschaue: Steht da ein Wunsch oder eine Forderung/Strategie? („Ich möchte Ruhe“ vs. „Ich muss produktiv sein“)
- Wenn ich meinem Gefühl folge, öffnet sich ein Kontakt, mit mir oder mit jemandem oder verstärkt sich Druck?
- Wenn Sie das Gefühl haben, es ist eine Strategie (Ersatzbedürfnis), dann können Sie experimentieren mit: „Was wäre sonst denkbar?“ „Wie fühlt sich etwas an, das kein ‚Ich muss‘ ist?“
Ihrem echten Bedürfnis Raum geben
Wenn Sie ein echtes Bedürfnis identifiziert haben – z. B. „Ich brauche Pause“ –, dann erlauben Sie sich konkret: Wann und wie gebe ich mir diese Pause? Könnte in der Therapie, im Alltag ein Experiment sein: So tun, als ob diese Pause möglich wäre. Mit dem Therapeut*in gemeinsam schauen: „Was entsteht, wenn ich gerade diese Pause nehme?“ Vielleicht entdecken Sie emotionale Resonanz, Körperruhe, Klarheit.
Integration in den Alltag
Nach der Sitzung kann es hilfreich sein, kleine Schritte zu planen: „Heute Abend nehme ich mir 10 Minuten nur für mich, ich atme, ich lasse los, ich tue nichts.“ Im Alltag zeigt sich dann: Welches echte Bedürfnis war dran? Wie oft meldet es sich? Wie reagiere ich darauf? Sehen Sie Veränderungen z. B. weniger Unruhe, bessere Schlafqualität, weniger innerer Druck.
Begleitung durch Therapie
Im therapeutischen Rahmen kann diese Arbeit vertieft werden: Wo sind Muster von Ersatzbedürfnissen entstanden? (z. B. in Kindheit, Familiensystem, sozialer Umgebung). Welche Strategien haben Sie entwickelt? Wie fühlen sich diese heute an? Wie kann ich lebendige Kontaktfunktionen statt Kontaktunterbrechungen fördern? Ihre Therapeut*in unterstützt Sie dabei, einen sicheren Raum für diese Exploration zu schaffen.
Typische Alltagssituationen mit beiden Arten von Bedürfnissen
Überforderung im Job
Sie merken: „Ich muss noch mehr leisten, noch mehr erreichen, sonst …“. Körperlich: Sie sind angespannt, das Herz schlägt schneller, Sie haben kaum Pause. Das Ersatz-Bedürfnis könnte lauten: „Ich brauche Leistung/Erfolg.“ Ihr echtes Bedürfnis könnte sein: „Ich brauche Klarheit, Ruhe und eine Unterbrechung zum Atmen.“ Wenn Sie diese echte Version zulassen, entsteht Potenzial für Entlastung, statt weiterer Leistungsschleifen.
Beziehung und Nähe
Sie finden sich oft in dem Gedanken: „Ich muss gefallen, damit ich geliebt werde.“ Daraus entsteht das Ersatzbedürfnis: „Ich brauche Zustimmung.“ Körperlich vielleicht: Sie vermeiden Konflikte, spüren Enge. Das echte Bedürfnis dahinter könnte sein: „Ich brauche Echtheit – Nähe, in der ich so sein darf, wie ich bin.“ Wenn Sie versuchen, darauf zu hören, kann sich der Kontakt zu Ihnen selbst und zum Gegenüber öffnen – und damit eine lebendigere Begegnung.
Lebensveränderung
Sie überlegen eine Veränderung: „Ich sollte mutiger sein, mich komplett neu erfinden.“ Ersatzbedürfnis: „Ich brauche Veränderung, damit ich mich besser fühle.“ Echter Kern: „Ich brauche ein Gefühl von Eigen-Wert, ein Ja-Zu mir, in dem ich Schritt für Schritt etwas gestalte.“ Wenn die Veränderung vom echten Bedürfnis her entsteht, ist sie stabiler – weil Kontakt vorhanden ist, statt von Leistungsdruck getrieben.
Was hindert uns, echte Bedürfnisse zu leben?
Es gibt verschiedene Faktoren, die uns davon abhalten, unsere echten Bedürfnisse wahrzunehmen und ihnen zu folgen:
- Gewohnte Strategie-Muster: Ersatzbedürfnisse haben sich etabliert, sind vertraut – auch wenn sie uns auf Dauer nicht guttun.
- Angst vor dem Spüren: Manchmal ist das Fühlen eines echten Bedürfnisses mit Angst verbunden („Wenn ich Ruhe zulasse, verliere ich Kontrolle“).
- Gesellschaftliche oder familiäre Erwartungen: „Ich muss funktionieren“, „Ich darf nicht schwach sein“, etc. Diese fördern Ersatzbedürfnisse.
- Mangelnder Kontakt im Körper: Wenn wir den Körper nur selten wahrnehmen, fällt uns das Spüren echter Bedürfnisse schwer.
- Kontaktunterbrechung: In der Gestalttherapie spricht man von Phänomenen wie Introjektion, Projektion, Vermeidung, Rückzug – also Formen, mit denen Kontakt unterbrochen wird.
Wenn wir an diesen Hindernissen arbeiten, in der Therapie oder auch allein – können wir echte Bedürfnisse zunehmend hören und leben.
Wie kann Ihre psychotherapeutische Begleitung aussehen?
Wenn Sie sich in meiner Praxis oder im Online-Format begleiten lassen möchten, könnte unsere Zusammenarbeit etwa so aussehen:
- Wir eröffnen einen Raum, in dem Sie sich im Hier und Jetzt wahrnehmen können – mit Körper-, Atem-, Wahrnehmungsübungen.
- Wir untersuchen gemeinsam Ihr Erleben: Wo sind Sie im Ersatz-Modus? Welche Strategie dominiert? Und welches Bedürfnis liegt darunter?
- Wir gestalten Experimente: Im Therapieprozess können wir gemeinsam ausprobieren, wie Sie Ihrem echten Bedürfnis Ausdruck verleihen – z. B. eine Pause einlegen, eine Begegnung wagen, eine Haltung verändern.
- Wir reflektieren: Welche Auswirkungen hatte die Umsetzung? Wie fühlt sich das im Körper? Welche Wahlmöglichkeiten eröffnen sich?
- Wir begleiten die Integration in den Alltag: Ich unterstütze Sie dabei, kleine Schritte zu finden, die Ihrem echten Bedürfnis gerecht werden und so langfristig Ihre Selbstunterstützungskraft zu stärken.
In meiner Praxis in Rosenheim oder im Rahmen einer Online-Psychotherapie biete ich Ihnen diesen gestalttherapeutisch fundierten Ansatz an – klar, persönlich und wertschätzend.
Ihr Nutzen bzw. wozu überhaupt darauf achten – kurz und konkret
Wenn Sie diese Unterscheidung anwenden und Ihren echten Bedürfnissen Raum geben:
- Sie spüren mehr Klarheit darüber, was Sie jetzt brauchen.
- Sie erleben weniger inneren Druck von „müssen“ und „sollen“ – stattdessen mehr Wahlfreiheit.
- Ihre Beziehungen gewinnen an Tiefe und Authentizität – weil Sie im Kontakt sind statt nur im Funktionieren.
- Ihr Alltag wird lebendiger – weil Sie auf sich hören und nicht nur auf alte Muster reagieren.
- Sie stärken Ihre Fähigkeit zur Selbstunterstützung, Sie werden zunehmend jemand, der sich selbst zuhört und Achtung schenkt.
Fazit
Die Arbeit mit echten und Ersatzbedürfnissen ist keine „neue Methode“, sondern ein lebendiger Zugang – im Sinne der gestalttherapeutischen Haltung –, der Sie im Hier und Jetzt mit Ihrem Erleben verbinden kann. Wenn Sie bemerken, dass sich vieles wiederholt, viel Druck da ist, das Gefühl, etwas läuft falsch – dann lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Welches Bedürfnis steckt unter dem „Ich müsste …“? Und: Wie fühlt es sich an, wenn ich meinem echten Bedürfnis Raum gebe?
Wenn Sie sich wünschen, diesen Weg zu gehen, in Ihrer persönlichen Lebenssituation, in Ihrer Entwicklung – dann lade ich Sie ein: Wagen Sie den Schritt, entdecken Sie Ihre echten Bedürfnisse, und lassen Sie die Ersatzstrategien hinter sich. In der Zusammenarbeit können wir gemeinsam schauen, wie Sie mehr Kontakt zu sich selbst, zu Ihren Bedürfnissen und damit zu mehr Lebendigkeit gewinnen.
Ich freue mich darauf, Sie auf diesem Weg zu begleiten.



