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Gestalttherapie – Kontaktzyklus

Aus Gründen der Einfachheit wird in diesem Blogbeitrag auf eine gendergerechte Sprache verzichtet. Alle Menschen, unabhängig vom Geschlecht, sind gleichermaßen angesprochen.

Kontaktzyklus​

Ein Kontakt wird immer verbunden mit einer Art von Berührung, Kommunikation, Bindung oder auch einer Beziehung. Ein Kontakt dient als Schnittstelle zur Übertragung von Informationen.
Jeder Mensch ist ein Wesen, das sozialen Kontakt braucht. Der Kontakt ist wichtig für das Überleben und muss zu sich selbst, zur Umwelt und zu anderen Menschen hergestellt werden.

Gestalttherapie Kontaktzyklus

Kontakt gestaltet sich als komplexer Prozess​

Kontakt ist stets als Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz zu verstehen. Der Kontakt muss zuerst natürlich aufgebaut und gehalten werden, um sich dann wieder zu lösen. Es ist ein stetiger Zyklus von sich Annähern von Begegnungen und dem Sich-Entfernen.
 
Ein Kontaktzyklus wird durch die Gestalttherapie in vier Phasen des Kontakts eingeteilt. Die diversen Phasen des Zyklus werden als Vorkontakt, Kontaktanbahnung, Kontaktvollzug und Nachkontakt beschrieben.

Vorkontakt

Hierbei entsteht zunächst ein Bedürfnis. Die Aufmerksamkeit wird durch einen unbestimmten Erreger angezogen. Hier fängt eine offene Gestalt an, sich bemerkbar zu machen.

Kontaktanbahnung​

Hier bekommt das Bedürfnis eine bestimmte Form. Abgewogen wird zwischen den vorhandenen Möglichkeiten, um dann auszuwählen. In dieser Phase wird der erste Kontakt mit der Umwelt aufgenommen. Die Richtung der Bewegung steuert vom Selbst aus zur Umwelt.

Kontaktvollzug​

Es werden nun Maßnahmen ergriffen mit dem Ziel, das Bedürfnis zu stillen. Um die Ressource für das eigene Bedürfnis nutzbar zu machen, werden Maßnahmen wie Annähern, Umgestalten, Gestalten und viele mehr ergriffen.

Nachkontakt​

Hierbei wird aus einer offenen, eine geschlossene Gestalt, da das Bedürfnis nun befriedigt ist. In dieser Phase haben Integration sowie Assimilation ihren Platz.

Kontaktzyklus Beispiel​

Gerne wird das Beispiel mit dem Apfel angeführt…

Vorkontakt
Eine Person ist bereits seit geraumer Zeit mit etwas Bestimmtem beschäftigt, bis sich dann etwas in sein Bewusstsein drängt. Noch ist der Person unklar, um was es sich handelt. Diese Person weiß nur, dass ihr etwas fehlt.

Kontaktanbahnung
Nun beginnt die Person das Bedürfnis zu erkennen. Hier zeichnet sich deutlich eine Figur vom „Grund“ ab. Ihm wird bewusst, dass er ein Gefühl des Hungers verspürt. Ihm fällt ein, dass er noch einen Apfel in seiner Küche gelagert hat, den er nun verspeisen könnte.

Kontaktvollzug
So geht er nun in die Küche, holt den Apfel hervor und wäscht ihn gründlich ab. Danach wird er abgetrocknet und mit einem scharfen Küchenmesser in vier Teile geschnitten. Der Apfel wird auf einem Teller hübsch angerichtet. Die Person setzt sich an den Tisch in der Küche und bemerkt den guten Duft vom Apfel, beißt hinein, schmeckt, kaut und schluckt hinunter. Dieses Spiel geht so lange weiter, bis das letzte Apfelstück heruntergeschluckt wird. Die Person freut sich über den leckeren Geschmack des Apfels und hat beim Essen schon bemerkt, dass es seine liebste Apfelsorte ist. Er ist zufrieden, weil der Apfel lecker geschmeckt hat.

Nachkontakt
Die Person hat den Apfelduft noch immer in der Nase, auch der Geschmack bleibt seiner Zunge noch eine Weile erhalten. Er ist glücklich, da er seinem Bedürfnis nachgekommen ist. Der Verdauungstrakt ist beschäftigt, die Person ist zufrieden.

Im Beispiel mit dem Apfel wurde der Kontaktzyklus beschrieben. Mit diesen vier Abläufen wird jeder Kontakt durchgearbeitet. Hierbei ist es gänzlich egal, um was es sich handelt. Es kann auf alles bezogen werden, von der Nahrungsaufnahme über eine berufliche Tätigkeit bis hin zur Umarmung eines Menschen oder einer Fahrradreparatur. Alle Phasen des Kontakts brauchen und verbrauchen Energie. Diese Spannungszustände können mit der Erregungskurve von Wilhelm Reich beschrieben werden.

Kontaktunterbrechungen​

Es gibt weitere diverse Bewegungen, die wellenförmig auf der Erregungskurve mit mehr und weniger intensiven Kontakts angelegt sind. In der Gestalttherapie ist es wichtig, während eines vertrauten Gesprächs Blickkontakt aufzunehmen. Dieser wird zwischenzeitlich immer mal wieder unterbrochen. Danach wird der Blickkontakt wieder aufgebaut. So kann man in der Zwischenzeit die Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken. Uns ist es möglich, die Aufmerksamkeit auf das Innere zu lenken. Hier kann man feststellen, ob man womöglich Durst verspürt oder um nach einem geeigneten Beitrag für das aktuelle Thema mit einer anderen Person zu suchen. Wird die Aufmerksamkeit nach außen gerichtet, wird es möglich wahrzunehmen, ob man friert oder etwas im Raum verändern muss, um das eigene Wohlbefinden zu steigern. Die Unterbrechung des Kontakts ist also ein wirksamer Mechanismus, um sich in der Welt zu orientieren.

Awareness / Gewahrsein​

Kontakt setzt stets Gewahrsein zu anderen wie auch zu sich selbst voraus. Es gilt, unterschiedliche Bedürfnisse, Empfindungen und Wahrnehmungen zu erkennen. Hierzu ist es notwendig, die Aufmerksamkeit nach außen ebenso wie nach innen zu lenken.
 
Um Lösungen für die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse zu finden, ist es wichtig, sich der Prozesse, die sich im Inneren abspielen, bewusst zu werden.
 
Der Kontakt findet auf der Grenze zwischen den Bereichen von ich und du statt. Die Grenzen, egal ob im Außen oder im Inneren, sind zugleich trennend und verbindend. Aus Sicht des Gestalttherapeuten ist Austausch und Begegnung jeweils an der Grenze zum anderen.
 

Es gibt jedoch auch Situationen, in denen der Kontakt gestört ist. An den meist immer gleichen Stellen des Kontaktzyklus treten Störungen auf. Sie lassen eine zufriedenstellende Bedürfnisbefriedigung nicht zu.

Besonders bei Berufsanfängern beispielsweise ist die Zielorientierung so hoch angesetzt, dass oftmals die Phase eins einfach ausgelassen wird. Doch auch bei Beziehungen geht man sehr oft vorschnell ein, man lässt sie also nicht einfach entstehen. Hat man dann die Phase des Kontaktvollzugs erreicht, wird einem die ganze Nähe und Zuwendung häufig zu viel. Man fühlt sich zurückgeschreckt. Dieses Verhalten beeinflusst natürlich auch den Nachkontakt, da dieser dann ein sogenanntes „Nachschwingen“ beinhaltet. Es sollte ein Ab- oder Umschalten erfolgen, um zum nächsten Thema übergehen zu können.

In der Psychotherapie gilt der Kontakt als wichtiger Faktor für Gestalttherapeuten. In der Gestalttherapie wird das „in Kontakt treten mit sich selbst“ gefördert.

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Patrick Raulin

Als Heilpraktiker für Psychotherapie und Gestalttherapeut (IGE) unterstütze ich Menschen bei Depressionen, traumatischen Erlebnissen, Angststörungen sowie Anpassungsstörungen. In meiner Praxis für Psychotherapie (HeilprG) und Coaching in Rosenheim begleite ich zudem auch im beruflichen Kontext, bei zwischenmenschlichen und strukturellen Herausforderungen.

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