Konzepte und zentrale Begriffe der Gestalttherapie

Einleitung

Die Gestalttherapie bezieht ihren Namen aus dem Begriff Gestalt. Fritz Perls wollte dieser Therapieform zunächst den Namen Existentialtherapie geben. Jedoch befürchtete er, man könnte dadurch eine zu starke Nähe zu Jean-Paul Sartres Philosophie sehen. Ein anderer Begriff wäre noch Konzentrationstherapie gewesen, jedoch entschied sich Perls für den Namen Gestalt.
Aufgrund der Begriffsüberlegungen von Perls zeigt sich, dass auch die anderen Formen ein zentraler Punkt der Gestalttherapie sind. Abgeleitet werden können die wichtigen Bestandteile der Therapie von den oben genannten Begriffen:

– Gestalt – Kontakt und Feld
– Konzentration – Achtsamkeit, Gewahrsein
– Existentialismus – Ich-Du-Beziehung, Dialog

Man kann dies noch ausweiten und den Begriffen Theoretikern zuordnen.

– Gestalt: Kurt Goldstein, Adhémar Gelb, Kurt Lewin, Max Wertheimer
– Existentialismus – Buber, Sartre, Heidegger, Merleau-Ponty

Was bedeutet Gestalt?

Mit dem Begriff Gestalt verbanden die Eheleute Perls den Grundgedanken ihrer entwickelten Therapie. In dem Denken von Edmund Husserls und Ehrenfels sahen sie ihren Begriff wissenschaftlich untermauert. Der Begriff Gestalt hat seinen Ursprung im deutschen Verb „gestalten“. Die Wörter „Sinn“ und „Struktur“ sind mit diesem Verb eng verbunden. Gemeint wird hierbei immer eine Gesamtheit. Diese ist in sich selbst kohärent. Um Gestalten bilden zu können, wird ein Hintergrund benötigt, auf dem sich eben diese abbilden kann.
Analog zur Erklärung der Bildung von Wahrnehmung beschreibt die Gestalttherapie diesen Prozess.
Hierbei meint man, dass sich ein weißer Punkt ausschließlich auf einem farbigen Hintergrund abheben kann.
Sinnesqualitäten werden isoliert als einzelne Elemente empfunden. Die Gestalttherapie vereint die Einzelelemente zu einer sinngebenden „Ganzheit“. Eine komplexe Sinngebung sind unter anderem Ausdruck von sozialem Leben, der Wahrnehmung und der Existenz des Einzelnen. Die größte Differenz von der Gestalttherapie zu fundierten Therapie besteht darin, dass angenommen wird, dass das „Ganze“ weit mehr ist als alle einzelnen Elemente zusammen. Dieser Punkt wird dabei mit dem eigentlichen Paradigmenwechsel gleichgesetzt.

Gestaltpsychologien werden in den verschiedensten Richtungen angewendet, leiten sich jedoch immer aus einer historischen Arbeit von Christian von Ehrenfels ab. Alleiniger Verdienst von Laura und Fritz Perls ist, den Begriff Gestalt auf die Psychotherapie übertragen zu haben. Die Wahrnehmung der Gestaltbildung geht davon aus, dass sich die Gestalt erst vor einem Hintergrund formiert. In der Gestalttherapie hat man die Auffassung, dass sich beim einzelnen Individuum immer das wichtigste Bedürfnis in den Vordergrund drängt. Dies bezeichnet man als Gestaltbildungsprozess. Hier wird angenommen, dass sich bei entstehendem Bedürfnis eine offene Gestalt aus dem Hintergrund zu einer Figur in den Vordergrund bildet. Diese bleibt solange bestehen, bis sie geschlossen wird. Ist die Gestalt geschlossen, kann sie wieder in den Hintergrund rücken und einer weiteren Gestalt Platz machen. Die Gestalttherapie versteht dies als Fähigkeit des Organismus zur Regulierung des Selbst.

Was bedeutet Gewahrsein?

Für die Gestalttherapie stehen Methoden, die zur Entwicklung des Gewahrseins dienen sollten, im Vordergrund. Hier geht es, um die Verfeinerung aller zugänglichen Gefühle und Empfindungen und diese zu vertiefen. Der englische Begriff für Gewahrsein ist Awareness und wird im Deutschen gleichgesetzt mit Bewusstsein. Ziel ist es, den einzelnen Klienten in die Lage zu versetzen, um durch vorhandene Kontaktstörungen, die einen Austausch mit der Umwelt verhindern, zu erkennen. Emotionale Bedürfnisse müssen reaktiviert werden, um Störungen zu überwinden. Dieses Gewahrsein kann durch eine innere, aktive Haltung der Aufmerksamkeit oder auch durch eine aktivere Form erhalten werden. Diese Achtsamkeit bezieht sich auf alle Phänomene der Wahrnehmung. Als wichtigstes Prinzip der gestalttherapeutischen Arbeit ist das Erleben im Hier und Jetzt.
Als gegenwärtiger Moment, indem auch Veränderungen möglich sind, befindet sich zwischen Klient und Therapeut. In dieser Situation kommt natürlich auch die Gegenwart und Zukunft ins Spiel. Dies geschieht durch Erinnerungen und Schmieden von neuen Plänen für die Zukunft. Der Therapeut gibt dem Klienten Rückmeldung zur methodischen Förderung des Gewahrseins. Aus der Situation ergeben sich dann auch Übungen und Experimente.

Das dialogische Prinzip

Um bestehende Kontaktstörungen und den Kontakt des Klienten zu sich selbst wieder herzustellen, ist die direkte Arbeit an der aktuellen Situation des Klienten wichtig. Hier können Selbstheilungskräfte aktiviert werden. Außerdem ist es durch den Dialog möglich, neue Erkenntnisse und Ansichten zu gewinnen. Die Fähigkeit des Organismus, sich in seiner Umwelt zu erhalten (Selbstheilungskräfte), betrachtet die Gestalttherapie als wichtigen Teil ihrer Arbeit. Hierzu stehen verschiedene Übungen zur Selbstregulierung zur Verfügung.
Die therapeutische Beziehung in der Gestalttherapie wird als dialogische Gestalttherapie bezeichnet und orientiert sich an dem Grundsatz der existenziellen Beziehungsphilosophie von Martin Bubers „dialogischer Haltung“. Hier unterscheidet Martin Buber zwischen einer sogenannten Ich-Du Haltung, (also in Bezug auf einen anderen Menschen, der auf gleicher Ebene steht, ohne einen bestimmten Zweck zu verfolgen) und der Ich-Es-Haltung. Bei dieser Haltung geht es darum, dass etwas „sachlich“ auf ein bestimmtes Objekt bezogen ist. Dabei kann es sich bei diesem sachlichen Objekt auch um einen anderen Menschen handeln. Diese beiden Haltungen werden im Ermessen der Situation gewählt und stehen in einem Wechselverhältnis. Die Therapiesituation wird im Sinne Bubers als besonderes Begegnung durch die beiden Haltungen bezeichnet. Ihr wird ein hohes Maß an Wahrhaftigkeit zugeschrieben und ist somit grundlegen für die Arbeit in der Gestalttherapie.

Was sind Kontaktfunktionen

Projektion, Introjektion, Konfluenz und Deflektion gehören zu den Kontaktfunktionen. Hierbei werden sie auch als Störung oder Unterbrechung des Kontakts verstanden. Sie besitzen sozusagen zwei Seiten. Die eine Seite gilt als eher störungsschaffend, die andere gilt etwas „normaler“. Sie kann zumindest oftmals zeitweise einen Charakter der Problemlösung besitzen und Teil der Selbstregulation sein. Die Gestalttherapie spricht daher in beiden Fällen von Kontaktfunktionen.

Die psychoanalytische Definition gilt als nicht identisch zum Konzept der Introjektion. Aufgrund von Fritz und Laura Perls wird die Introjektion der Assimilation entgegengesetzt. Spricht man von Assimilation meint man die Situation, dass der Organismus (also die Ganzheit von Körper, Geist und Seele) fähig ist, neue Situationen in der Umwelt in Eigene umzuwandeln und sie für den persönlichen Wachstum zu benötigen. An der Kontaktgrenze des eigenen Organismus wird Neues aus der Umwelt geprüft „zerstört“ und umgewandelt. Dies dient zur Assimilation. Hierzu wird positiv verstandene Aggression benötigt. Es ist nicht notwendig, unbrauchbares Material zu übernehmen. Die Eheleute Perls setzen diese Assimilation in Analogie zum Prozess der Nahrungsaufnahme, dem Kauen der Nahrung.
Wenn an der Kontaktgrenze des Organismus das Bewusstsein teilweise oder ganz fehlt, wird Neues aus der Umwelt ganz aufgenommen. Hier fehlt die Aggression, das nicht brauchbare Material zu zerstören. Hierbei entsteht ein Introjekt, das im Organismus als Fremdkörper bestehen bleibt. Diesen Prozess setzt man in Analogie mit dem Saugen und Schlucken bei der Nahrungsaufnahme. Ist bei der Introjektion „Konfluenz“ aufgetreten, so kann der Kontakt mit dem Neuen nicht richtig funktionieren. Als Konfluenz wird ein Zustand bezeichnet, bei dem an der Kontaktgrenze das Bewusstsein teilweise oder ganz fehlt.


Im alltäglichen Leben kann ein Mensch als konfluent bezeichnet werden, wenn er nicht sich selbst in den Vordergrund stellt, sondern immer nach den Erwartungen anderer handelt und lebt. Hierbei ist es der betroffenen Person wichtig, Streitigkeiten zu vermeiden. Harmonie muss in jedem Fall hergestellt werden, egal unter welchen Umständen.

Was bedeutet Kontaktstörung?

Hierbei kann sich der Organismus aufgrund von Störungen nicht an die Umwelt anpassen und umgekehrt die Umwelt nicht an den Organismus. Hierunter versteht man in der Gestalttherapie den Begriff „unabgeschlossene Gestalt“. Hier ist es einer vollständigen Gestalt (auch einer geschlossenen Gestalt) nicht möglich, eine Anpassungsleistung abschließen zu können.
Der Begriff Gestalt kommt im ursprünglichen Sinn aus der Gestaltpsychologie. Hierbei handelt es sich um eine Psychologie der Wahrnehmung. Fritz und Laura Perls orientieren sich an dem Neurologen Goldstein und wenden den Begriff auf den gesamten Organismus an. In den Veröffentlichungen von Oliver Sacks lassen sich Beispiele für die Anpassungsleistung und dem Schließen von Gestalten finden.

Ganzheit, Feld, Prozess

Da die Gestalttherapie nicht nur den Menschen als untrennbare Einheit von Körper, Geist und Seele sieht, sondern auch auf die Ganzheit des Organismus im Feld. Das bedeutet, dass ein Individuum nie von seiner Umgebung isoliert sein kann. Als grundlegende Kategorie spricht die Gestalttherapie hierbei von „Organismus-Umwelt-Feld.
Die Kontaktgrenze, die sowohl trennend als auch verbindend agieren, liegt zwischen dem Organismus und der Umwelt. Nimmt man es ganz genau, so bewegt sie sich zwischen dem Kontakt von Umwelt und Organismus. Als Prozesse werden hierbei der Kontakt und die Kontaktgrenze verstanden, in denen sich das einzelne Individuum im Austausch mit der Umwelt befindet und somit auch wächst. Um sich im Feld orientieren zu können, müssen Bewusstsein/Gewahrsein wie Denken, Fühlen, Handeln im Kontakt fließen.
Unter Kontakt versteht man „Wahrnehmung des Feldes oder Bewegungsreaktion innerhalb des Feldes“.
Allerdings bewegt sich die Grenze des Kontakts nicht nur zwischen dem Organismus und der Umwelt. Sie bewegt sich auch im Selbstkontakt. Perls spricht hierbei vom intraorganismischen Feld, wenn das eigene Selbst in Kontakt kommt mit Gedanken und Gefühlen.
 
Als umfassenden Prozess wird in der Gestalttherapie auch der Kontakt mit sich selbst verstanden. Als das „System der ständig neuen Kontakte“ wird es von Hefferline, Goodman und Perls definiert. Hierbei wird das „Ich“ nur als Teilfunktion vom „Selbst“ angesehen. Hier kann unterschieden werden zwischen „zu mir gehörend“ und „fremd“. Die Psychoanalyse hebt sich in soweit von der Gestalttherapie ab, da diese die Psyche eher als einen Apparat versteht.
Die Psychoanalyse war übrigens die erste Therapieform. Sie findet in mehreren Sitzungen pro Woche statt und erstreckt sie häufig über mehrere Jahre. Hier ist es so, dass der Patient meist auf einer Couch liegt und der Analytiker dahinter sitzt. Der Patient soll ihn also nicht sehen können. Er wird Ausgesprochenes vom Patienten deuten. Die Psychoanalyse geht davon aus, dass sich psychische Störungen durch unbewusste Ängste des Patienten ergeben. Hierbei beschäftigt sich die Psychoanalyse meist nicht mit der aktuellen Situation des Patienten, sondern gräbt tiefer in Konflikte aus der Kindheit, um das Verdrängte wieder bewusst zu machen. Hierbei gestaltet sich auch die Traumdeutung als zentraler Punkt.
 
Unter Gestalttherapeuten liegt die Aufmerksamkeit vor allem auf der entwicklungspsychologischen Dimension. Hier wird der Organismus als Ganzes gesehen.
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Patrick Raulin

Als Heilpraktiker für Psychotherapie und Gestalttherapeut (IGE) unterstütze ich Menschen bei Depressionen, traumatischen Erlebnissen, Angststörungen sowie Anpassungsstörungen. In meiner Praxis für Psychotherapie Rosenheim (HeilprG) & Coaching begleite ich zudem auch im beruflichen Kontext, bei zwischenmenschlichen und strukturellen Herausforderungen.

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